Montag, 12. Oktober 2015

Fieber am Morgen von Péter Gárdos.


Originaltitel: Hajnali lás - Aus dem Ungarischen von Timea Tankó - Erschienen bei Hoffmann und Campe - 2015 - Herzlichen Dank für das Leseexemplar!

Sommer 1945. Der Junge Ungar Miklós hat das Konzentrationslager überlebt und es nach Schweden geschafft, wo die Ärzte ihm nur noch sechs Monate zu leben geben. Doch Miklós hat andere Pläne: 117 Briefe schreibt er an junge Frauen aus seiner Heimatstadt. Eine dieser Frauen wird er heiraten, das hat er sich fest vorgenommen. Lili liest seinen Brief und beschließt, ihm zu antworten. Sie ist die Richtige, das weiß er. Jetzt müssen sie nur noch einen Weg finden, wie sie heiraten können - und Miklós darf nicht sterben.

Ein Buch, für welches der Verleger den Druck der Vorschau stoppen lässt, weil er den Titel unbedingt noch ins Herbstprogramm aufnehmen will, ein Buch, welches ohne Cover in der Vorschau abgedruckt wird, dafür schreibt der Verleger aber einen Brief, in welchem er erklärt, wie besonders dieses Buch doch ist, dass ihn das Fieber gepackt hat. Das weckt Interesse. Das baut Erwartungen auf. Hohe Erwartungen. Kann "Fieber am Morgen" von Péter Gárdos diese Erwartungen erfüllen?

Miklós wird 1945 aus einem Konzentrationslager befreit. Er kommt nach Schweden (warum Schweden? Wenn ich mich richtig erinnere, wird nie erklärt, warum es ausgerechnet Schweden ist) in ein Auffanglager für ehemalige KZ-Gefangene und erhält dort von einem Arzt eine niederschmetternde Diagnose - Tuberkulose. Der Arzt (eine sehr sympathische Figur, wenn ich das schon mal vorwegnehmen darf) gibt ihm noch sechs Monate zu leben. Miklós lässt sich davon nicht einschüchtern. Er lässt sich die Adressen von ungarischen Frauen in Schweden geben, mit dem Ziel, eine davon zu heiraten.

Lili wird 1945 aus einem Konzentrationslager befreit. Sie kommt nach Schweden in ein Auffanglager für ehemalige KZ-Gefangene und wird dort gepflegt. Eines Tages erhält sie einen Brief von einem ihr unbekannten Mann, der aus Ungarn, aus Debrecen stammt und sie fragt, ob sie ihn kennt. Erst will sie nicht antworten, sie kennt den Mann schließlich nicht, doch im Krankenbett langweilt sie sich und so beginnt die Briefkorrespondenz zwischen Lili und Miklós, an deren Ende die Hochzeit, die Rückkehr nach Ungarn und die Geburt von Péter Gárdos steht. 

Der Autor erzählt in "Fieber am Morgen" die Geschichte seiner Eltern, die ihm bis zum Tode seines Vaters unbekannt war. Ein Tatsachenbericht, also. Ein Tatsachenbericht über zwei Holocaust-Überlebende und deren Kampf gegen die Vergangenheit und für die Liebe. Kann man da überhaupt etwas negatives zu sagen?

Ja. Kann man. Muss man. Es tut mir auch ein wenig leid. Ich hatte wirklich nicht die Absicht, dieses Buch zu kritisieren. Ich habe mich auf die Lektüre gefreut, ich war ein wenig verwirrt, als "Fieber am Morgen" beim Literarischen Quartett so schlecht weggekommen ist. Aber nach der Lektüre kann ich dem Urteil von Maxim Biller zustimmen: "Das ist ein ganz schlimmes, kitschiges Buch, das ist ein totaler Holocaust-Kitsch!" - Ich könnte noch den ganzen Rest von Maxim Biller zitieren, aber das wäre ein wenig eintönig, also guckt es euch einfach an. Und auch, was Juli Zeh "Fieber am Morgen" sagt, stimmt: "Ich wehr mich dagegen zu sagen 'Das ist eine wahre Geschichte, also muss ich es gut finden.'" - Nur weil etwas wahr und belegbar ist, ist es noch lange nicht eine gute Geschichte.

Péter Gárdos erzählt auf trivialste Art und Weise kitschige Anekdoten aus dem Leben seiner Eltern. Ja, das wird sicherlich ein erfolgreicher, massentauglicher, tränenreicher Film, das Buch weckt aber bei mir keinerlei Emotionen. Es ist belanglos. Die Sprache ist ungelenk und das ist nicht, wie Christine Westermann behauptet, irgendwie sympathisch, das ist einfach nur schlecht. Es wird eine Liebesgeschichte konstruiert, wo keine Liebesgeschichte ist, es gibt eine tragische Rettung in letzter Sekunde aus dem Konzentrationslager, es gibt Religionsdebatten und damit verbundene Entschlüsse, die dann einfach über Bord geworfen werden - aber nichts davon wirkt lebendig, sondern nur platt. 

Lest lieber "Roman eines Schicksallosen" von Imre Kertész. "Fieber am Morgen" ist für mich kein Buch, welches mich in Fieber versetzt. Schade. Die großspurige Ankündigung verpufft leider beim Lesen des Buches. 

2 Kommentare:

Nanni hat gesagt…

Hey,

schade, dass du das Buch nicht mochtest. Ich habe es ja sehr geliebt.

Für alle, die das Buch noch lesen möchten, jetzt wird GESPOILRET!! :

Extra wegen "Fieber am Morgen" habe ich "Das literarische Quartett" nachgeschaut und ich bin absolut der Meinung, dass Geschmäcker verschieden sind und jeder das Lesen sollte, was ihm Spaß macht, aber ich bin auch einer Meinung mit Christine Westermann, die angezweifelt hat, dass Maxim Biller und Juli Zeh (die ich übrigens super unsympathisch fand, obwohl ich ihre Bücher bisher mochte)das Buch überhaupt gelesen haben.
Es ist eine Liebesgeschichte und die sind ja meistens ein bisschen kitschig. Auch hier läuft vieles glatt. Aber vieles eben auch nicht. Dies alles auszuführen, hätte meiner Meinung aber auch den Rahmen bzw. den Umfang des Buches gesprengt.
Ich finde, dass der Holocaust an sich, eher in den Hintergrund rückt. Dass das Buch auch sehr gut in die aktuelle (Welt-)Situation passt. Flucht, Ankommen, damit verbundene Schwierigkeiten. Darf man Hilfe von Menschen kritisieren, die es gut meinen (kath. Familie in der Lilli unterkommt), darf man sich trotz all des Gutwills der anderen unwohl fühlen? Sehnsucht nach der Heimat haben? Sich nicht integrieren, weil die Mentalität einfach so anders ist, als die eigene?
Und können wir nicht auch einiges aus dem Roman für die Gegenwart mitnehmen? Keine ähnlichen Fehler machen, wie z.B. Flüchtlinge behandeln, als wären sie Tiere? Welche Regeln müssen in so einer Situation gelten? Welche fallen unter ausnutzen der eigenen Machtposition. Ich fand es so ein bedrückendes Gefühl, dass man Miklós nicht einfach erlaubt hat, Lili zu besuchen. Mit welchem Recht wird er zurückgehalten? Geht es den Flüchtlingen aus Syrien etc. derzeit auch so? Auf der anderen Seite weiß ich, dass Regeln in so großen Menschenansammlungen wichtig sind. Aber wo bleibt die Menschlichkeit? Wann verlieren wir sie und wie sorgen wir dafür, dass sie uns erhalten bleibt?
Alles Fragen, die Petér Gardós meiner Meinung nach anreißt. Darüber nachdenken kann jeder selbst.

Ein Buch gewinnt für mich auch schon an Qualität, wenn es genau solche Diskussionen aufwirft ;)

Ich lass dir ganz liebe Grüße da und bin gespannt, ob sich bei "Das Licht der letzten Tage" unsere Meinung etwas ähnlicher ist ;)

Nanni

Marina hat gesagt…

Ich finde ehrlich gesagt nicht, dass bei diesem schmalen Bändchen ein Argument mit "Das würde den Umfang sprengen" gerechtfertigt ist. In meinen Augen lässt Gardós alles negative an der Beziehung seiner Eltern weg, weil es die Beziehung seiner Eltern ist und er diese hochstilisiert. Ich glaube, Maxim Biller sagt dazu auch was, Gardós macht seine Eltern zu Engeln,tut so, als wären sie von Anfang an verliebt, aber das kann ich einfach nicht glauben.

Dass das Buch auch in unsere aktuelle Zeit passt, möchte ich gar nicht abstreiten, ich glaube nur nicht, dass das Gardós Absicht war.

Ich hoffe, dass dir "Das Licht der letzten Tage" gefällt, irgendwie überwiegt bei diesem Buch die negative Kritik. Leider.