Seiten

Sonntag, 23. Dezember 2018

Lincoln im Bardo von George Saunders.


Originaltitel: Lincoln in the Bardo - Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert -Erschienen bei Luchterhand - 2018 - Herzlichen Dank für das Rezensionsexemplar!

Während des amerikanischen Bürgerkriegs stirbt Präsident Lincolns geliebter Sohn Willie mit elf Jahren. Bei George Saunders wird daraus eine allumfassende Geschichte über Liebe und Verlust, wie sie origineller, faszinierender und grandioser nicht sein könnte.

Als ich für den Beitrag mit meinen Lieblingsbüchern 2018 durch die Leseliste stolperte, blieb ich immer wieder bei einem Buch hängen. Aber wenn man sich vornimmt, nur fünf Bücher zu zeigen, kann man nicht einfach ein sechstes Buch hinzunehmen. Selbst, wenn man selber die Regeln macht. Weil mich das nun aber doch etwas traurig gemacht hat, bekommt Platz 6 einen eigenen Beitrag mit voller Würde und Ehre.

Denn über "Lincoln im Bardo" von George Saunders habe ich an dieser Stelle noch nicht gesprochen. Beschämend. Lange bin ich auch vor der Lektüre zurückgeschreckt, denn eigenartig und eigenwillig ist der Stil auf jeden Fall. Man muss sich darauf einlassen. Doch wenn man das tut, erwartet einen ein großartiges Stück Literatur.

Warum?

George Saunders erzählt nicht einfach die Geschichte eines trauernden Vaters, der sich Nacht für Nacht auf den Friedhof schleicht, um bei seinem toten Sohn zu sein. George Saunders wird zum Dirigenten und weckt einen Chor aus historischen Quellen (in Anführungszeichen, aber dazu gleich), um mehr als nur die eine Geschichte zu erzählen. So berichten Elizabeth Keckley, Margaret Leech, Dorothy Meserve Kunhardt und Philip B. Kunhardt jr. und viele weitere Quellen in einer Zitatcollage über ein Festbankett im Hause Lincolns und über den Tod des Sohnes. Zu Beginn hatte ich immer das Bedürfnis zu überprüfen, ob es diese Quellen wirklich gibt, aber diese Recherche sollte man sich einfach sparen und stattdessen das bunte Potpourri an Stimmen, Meinungen und Gerüchten genießen. 

Das ist beileibe aber nicht der einzige Kunstgriff, den sich George Saunderes leistet. Den Zitaten gegenüber stehen drei Männer – Hans Vollmann, Roger Bevins III und Reverend Everly Thomas – die Lincolns Besuche auf dem Friedhof argwöhnisch beobachten. Hauptsächlich deswegen, weil sie alle drei tot sind und als Geister in einer Art Zwischenwelt weilen. Dort bleibt auch Lincolns Sohn Willie stecken, wo doch Kinder normalerweise direkt in den Himmel kommen. Und weil die drei Geister-Männer Mitleid mit Lincoln und seinem Sohn haben, versuchen sie eben jenen Sohn beim Übertritt in den Himmel zu unterstützen.

Das  klingt absurd und verwirrend und der Aufbau des Buches tut sein übriges für diesen Eindruck. Und doch möchte ich keine Minute missen, die ich mit der Lektüre von "Lincoln im Bardo" zugebracht habe. Ein Kleinod. Eine wahrliche Leseperle, die den Leser herausfordert. Und ja, das ist anstrengend und Netflix gucken wäre so viel einfacher. Doch manchmal soll/muss/darf es auch mal anstregend sein. 

1 Kommentar:

  1. Hi, erst Mal noch ein Frohes Fest und einen guten Rutsch ins Neue. Bin gerade am Stöbern und bin über Postkarten gestolpert, die eine ganz liebe Person mal nach Erlangen geschickt hat ;-). Hoff bei Dir ist noch Alles mit Lesen und Co. erfüllt und 2019 bringt Dir ein tolles Jahr. Gruß von einem alten Bekannten aus FDB!

    AntwortenLöschen