Donnerstag, 22. Januar 2015

Vor dem Fest von Saša Stanišić.


Originalausgabe - Erschienen bei Luchterhand - März 2014

"Noch ist Zeit vor dem Fest. Die Nacht muss ausgestanden werden, am Tag werden die letzten Vorbereitungen getroffen. Das Dorf kocht, das Dorf sprüht Glasreiniger, das Dorf schmückt die Laternen. Für die gute Statik des Scheiterhaufens hat lange unser Tischler gesorgt, der ist jetzt tot. Ein zugezogener Innenarchitekt aus Berlin hat sich an seiner Stelle angeboten, aber das gibt nur Probleme. Die Sitzordnung, brisantes Thema. Wer kriegt den Biertisch vorn am Scheiterhaufen? Wer hat es verdient, den Flammen nah zu sein?"

Ich finde es furchtbar schwer, für dieses Buch Worte zu finden. Worte, die passen und niemanden verschrecken, weil ich nicht möchte, dass man abgeschreckt wird. Ich möchte das Gegenteil. Ich möchte, dass Menschen dieses Buch lesen und verstehen, was ich meine, wenn ich sage, dass ich es furchtbar schwer finde, für dieses Buch Worte zu finden. 
Versuchen wir es mit: Es geht um das Dorf Fürstenfelde in der Uckermark. Das Dorf feiert alljährlich ein Fest. Das Annenfest.  Es ist die Nacht vor dem Fest. Und wir begleiten das Dorf durch die Nacht und durch den Festtag. Aber hauptsächlich durch die Nacht. Da gibt es den Fährmann, denn das Dorf hat zwei Seen, aber eigentlich gibt es den Fährmann nicht mehr, der ist tot. Es gibt Frau Kranz, die alt ist und Bilder vom Dorf und seinen Bewohnern malt. Es gibt Ulli, der eine Garage hat, in der das Dorf trinken geht. Es gibt Anne, die joggt. Es gibt die Fähe, die Eier stiehlt. Es gibt den Glöckner und seinen Lehrling. Es gibt Frau Schwermuth, die im Haus der Heimat das Archiv führt und etwas verbirgt. Es gibt noch weitere Dorfbewohner. Beispielsweise gibt es Herrn Schramm:

"Und Herr Schramm, ehemaliger Oberstleutnant der NVA, dann Förster, jetzt Rentner und, weil das nicht reicht, schwarz, reibt die Münze über die Stelle am Zigarettenautomaten, wo andere vor ihm gerieben haben. Er riecht an seinen Fingern, seine Finger riechen nach lauwarmen Geldabrieb.
[...]
Herr Schramm ist ein Mann mit Haltung und Haltungsschaden. Herr Schramm legt dem Automaten die Pistole an die Schläfe.
[...]
Herr Schramm tritt drei Schritte zurück und erschießt den Zigarettenautomaten." 

Jeder Dorfbewohner (also, nicht alle Dorfbewohner. Das wären bestimmt ein paar mehr. Einwohnerzahl ungerade und so) bekommt seine eigene Geschichte, alle Geschichten sind miteinander verwoben, dazu gibt es Aufzeichnungen aus dem Archiv und dann das Fest. Mehr passiert nicht. Es muss aber auch nichts passieren. Die einzelnen Personen sind jede für sich so interessant und authentisch gestaltet, dass da nichts passieren muss.

Was für mich "Vor dem Fest" auszeichnet, ist die schnörkellose Sprache, die mehr Bilder zeichnet als hundert Adjektive. Oder so ähnlich. Ich kann das nicht beschreiben, aber wenn ich ein Buch schreiben wollen würde, dann würde ich es so schreiben wollen. Einfache, aber anstrengende Sprachbilder. Ist das nicht ein Widerspruch? Dann - Einfache Sprache, die anstrengt. Und nicht immer ganz klar ist. Und am Schluss dann doch klar wird. Auf jeden Fall ist das kein Buch, dass man mal eben schnell in der U-Bahn lesen kann. Mir sind einige Dinge erst klar geworden, nachdem ich gerade nochmal die ersten Seiten überblättert habe. Da steht eigentlich schon alles. Aber das weiß man noch nicht.
Vollkommen verdient hat Saša Stanišić 2014 den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen.


"Es ist doch fabelhaft, sich zu beweisen in Tätigkeiten, die keinen Nutzen haben.

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

Liebe Marina,

ganz und gar genau so würde ich auch schreiben wollen. Ich habe das Buch gelesen und war begeistert. Begeistert von den Wortbildbauten, die sich vor meinem inneren Auge aufgetürmt hatten.
Manche können es einfach.

Den Hashtag-Stempel habe ich übrigens zu Weihnachten bekommen und er wurde über easystempel.de angefordert. Hab nachgefragt :)

Liebste Grüße,
Stefanie