Originaltitel: Invisible Women. Exposing data in a world designed for men - Aus dem Englischen von Stephanie Singh -
Erschienen bei btb - Herzlichen Dank für das Rezensionsexemplar!
Unsere Welt ist von Männern für Männer gemacht und tendiert dazu, die Hälfte der Bevölkerung zu ignorieren. Caroline Criado-Perez erklärt, wie dieses System funktioniert. Sie legt die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Erhebung wissenschaftlicher Daten offen. Die so entstandene Wissenslücke liegt der kontinuierlichen und systematischen Diskriminierung von Frauen zugrunde und erzeugt eine unsichtbare Verzerrung, die sich stark auf das Leben von Frauen auswirkt. Kraftvoll und provokant plädiert Criado-Perez für einen Wandel dieses Systems und lässt uns die Welt mit neuen Augen sehen.
Was Caroline Criado-Perez mit diesem Buch zeigen will, ist ein ehrenwertes Unterfangen. Diskriminierung von Frauen beschränkt sich nicht auf die üblichen Themen wie weniger Gehalt, weniger Rente, weniger Karriere, dafür mehr Care-Arbeit. Um es sehr vereinfacht darzustellen: Frauen werden in so gut wie allen Bereichen ignoriert, weil wir in einer Welt leben, die von Männern für Männer gemacht ist. Und dabei werden Frauen häufig nicht absichtlich ausgeklammert, sondern durch mangelnde Datenerfassung aus dem System subtrahiert.
Für mich waren viele der angesprochenen Themen komplett neu, sodass ich beim Lesen nur verwundert den Kopf schütteln konnte. Stadtplanung zum Beispiel. Hier werden häufig Autos gegenüber Fußgänger*innen bevorzugt. Frauen sind aber häufiger zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Eine schwedische Stadt hat daraufhin ihren Schneeräumplan geändert und statt zuerst die Hauptverkehrswege zu räumen, wurden Gehwege und Routen öffentlicher Verkehrsmittel bevorzugt, was dazu führte, dass die Zahl der Verletzungen durch rutschige Gehwege zurückging – hier waren vorher mehrheitlich Frauen betroffen.
Beim Thema Arbeitssicherheit müssen sich Frauen häufig mit zu großen Handschuhen oder Sicherheitswesten herumschlagen, die zu Unfällen führen können. Bei Medikamententests sind Frauen seltener in den Testgruppen, weil durch den Menstruationszyklus die Wirkung des Medikaments beeinflusst werden könnte und so keine neutrale Testsituation möglich ist. Verrückt – als würden Frauen ansonsten bei der Medikamenteneinnahme ihren Zyklus einfach pausieren.
Care-Arbeit als Wirtschaftsfaktor, Smartphones die nicht für Frauenhände (geschweige denn Frauenhosentaschen ... wenn es überhaupt Hosentaschen gibt) gebaut sind, Algorithmen, die Frauen ignorieren, die Pflug-Theorie, die besagt, dass Gesellschaften, in denen früher Pflüge genutzt wurden, weniger gleichberechtigt sind (weil zum Beispiel ein Pflug schwerer ist als eine Hacke. Bei der Bearbeitung eines Feldes mit eine Hacke kann die Arbeit auch jederzeit unterbrochen werden, um beispielsweise ein Kind zu versorgen). So viele interessante neue Punkte konnte ich aus dem gut recherchierten Buch von Caroline Criado-Perez mitnehmen.
Wenn da nicht ein sehr großes "Aber" in meinem Kopf wäre.
Sitzen zwei Homosexuelle im Flugzeug. Sagt die eine zur anderen: "Bestimmt haben sich jetzt alle zwei Schwule vorgestellt."
Wie wichtig in diesem Kontext Sprache ist, zeigt Criado-Perez bereits in der Einleitung zu "Unsichtbare Frauen". In einer englischsprachigen Untersuchung sollte eine Testgruppe genderneutrale Begriffe wie "user", "person" oder "designer" bildlich darstellen. Und - guess what: "Es zeigt sich, dass die scheinbar geschlechtsneutralen Begriffe nicht als gleichermaßen männlich und weiblich wahrgenommen wurden." (Seite 27).
Sprache baut Bilder in unserem Kopf. Aus diesem Grund ärgert es mich sehr, dass die deutsche Übersetzung von "Unsichtbare Frauen" versäumt konsequent zu gendern. Mal wird von "Lehrerinnen und Lehrern" gesprochen, mal von "Gutachter/in", dann aber wieder von "Managern" ohne, dass der Kontext sich nur auf männliche Manager beziehen würde.
Ich weiß, dass ich beim Thema "genderneutrale Sprache" selbst noch viel lernen muss, aber gerade bei einem Buch zum Thema Frauendiskriminierung (inklusive einer Einleitung, in der es genau darum geht!), setze ich doch etwas mehr Feingefühl voraus.
Und so bleibt ein fader Beigeschmack nach der Lektüre von "Unsichtbare Frauen". So viele wichtige Themen werden angesprochen, so wenige Grundlagen werden eingesetzt.