Wie letztes Jahr hat es wieder etwas länger gedauert, bis ich das Heft mit den Leseproben zum Deutschen Buchpreis 2015 ergattert habe. Wobei ich dieses Mal direkt zum Hugendubel am Marienplatz gegangen bin. Dort gab es einen Buchpreis-Tisch und auf dem Buchpreis-Tisch lagen 2 (in Worten: ZWEI) Leseproben-Hefte. Die Fragen, die sich nun aufdrängen: Haben die noch mehr Exemplare versteckt? Drucken die Buchpreis-Verantwortlichen nur zehn Exemplare und verteilen die über ganz Deutschland? Leben in München ultraviele Menschen, die am Buchpreis interessiert sind? Wer mir diese Fragen beantwortet, bekommt ein Stück Streuselkuchen (der übrigens sehr lecker ist). Bis dahin darf man sich an der nun folgenden subjektiven Bewertung der 20 Longlist-Titel erfreuen. Wie schon im letzten Jahr bekommt das ganze einen fancy Titel:
Nordbrezens Deutscher-Buchpreis-Longlist-Leseproben-Lese-Erfahrung
Ich versuche den Inhalt der Leseprobe in einem Satz wiederzugeben, habe meinen Lieblingssatz rausgestrichen und verrate, ob ich weiterlesen bzw. natürlich das komplette Buch lesen würde. Und weil mich das letztes Jahr mit den Covern unfassbar genervt hat, gibt es einfach Grüppchenbilder der Cover. So.
Baba Dunjas letzte Liebe von Alina Bronsky. Erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch.
Baba Dunja hat einen Plan und der Hahn ist tot.
"Seine innere Uhr ist durcheinander, schon immer gewesen, aber ich glaube nicht, dass es mit der Strahlung zu tun hat. Man kann sie nicht für alles, was blöd zur Welt kommt, verantwortlich machen."
Weiterlesen? Joah, klingt auf jeden Fall recht amüsant.
Die Liebenden von Mantua von Ralph Dutli. Erschienen im Wallstein Verlag.
Ein Mann wartet und Vergil beobachtet.
"Hier liegt alles nicht weit von allem, die Altstadt ist eine Walnuss, ein flink verwinkeltes Centro storico, die Gassen und Gässchen ein Geflecht aus Mittelalter und Renaissance, die Plätze, Durchgänge, Tunnelgewölbe führen dich im Kreis herum, spiegeln sich gern gegenseitig, du stehst dir immer wieder selbst erstaunt gegenüber."
Weiterlesen? Nee. Klang insgesamt sehr belanglos.
Gehen, ging, gegangen von Jenny Erpenbeck. Erschienen im Albrecht Knaus Verlag.
Unterirdische Tunnel und auf dem Platz darüber gibt es einen Hungerstreik.
"Was erzählt eigentlich so ein Bild, dem die Erzählung abhandengekommen ist?"
Weiterlesen? Nicht unbedingt. Trotz aktueller Flüchtlingsthematik fehlt mir der Anreiz weiterzulesen. Dabei finde ich den Titel des Buches sehr prima.
Winters Garten von Valerie Fritsch. Erschienen im Suhrkamp Verlag.
Die Kindheit im Garten.
"Alles lebte und wandelte stetig seine Form, kam, ging schlug Wurzeln und verschwand in diesem Bienenstock."
Weiterlesen? Unbedingt. Von Valerie Fritsch bin ich seit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ein heimlicher Fan, deswegen steht das Buch auch schon auf meiner Wunschliste.
Eigentlich müssten wir tanzen von Heinz Helle.
Eine Gruppe von Männern durchstreift verlassene Dörfer. Erschienen im Suhrkamp Verlag.
"Nach ein paar Minuten löst sich der Straßenbelag völlig auf, wird zu Schotter, der Schotter wird spärlicher, die Straße wird zu einem Weg, und der Weg wird zum Pfad, und der Pfad wird Boden."
Weiterlesen? Nachdem mich die Leseprobe irgendwie an Thomas Glavinic erinnert, kann die Antwort nur lauten: Ja!
Aberland von Gertraud Klemm. Erschienen im Literaturverlag Droschl.
Über Begebenheiten im Freibad und das Älterwerden.
"Immer reden sie durcheinander, viel über ihre Männer, vor allem über die Krankheiten der Männer und über die künstlichen Hüftgelenksköpfe der Männer und die Kinder, die ihre Männer ihnen gemacht haben, und was die jetzt wiederum beruflich oder familiär leisten."
Weiterlesen? Joah, vielleicht. Klingt nach einem fies-gemeinem Buch, das kann ja auch manchmal recht nett sein.
Risiko von Steffen Kopetzky. Erschienen im Verlag Klett-Cotta.
Ein deutscher Soldat versucht den afghanischen Emir zu töten und ein Falke fliegt.
"Und mit einem Mal die See. Weiße Städte am Mittelmeer. Der Himmel über der See. Ein Schiff."
Weiterlesen? Nee. Das Buch fand ich schon uninteressant, als es vor ein paar Monaten einmal bei "Druckfrisch" vorgestellt wurde.
Über den Winter von Rolf Lappert. Erschienen im Carl Hanser Verlag.
Schlittenfahrt auf der zugefrorenen Außenalster.
"Er versuchte,nicht an sein Bett zu denken, nicht an erlösenden Schlaf und die Leichtigkeit nach dem Aufwachen, die einem das Gefühl gab, wieder ganz zu sein, beinahe stark genug, um sein Leben zu meistern."
Weiterlesen? Wenn man die Außenalster - also Hamburg - erwähnt, bin ich eh schon neugierig. Von Rolf Lappert habe ich bereits "Nach Hause schwimmen" gelesen und das fand ich ganz gut, deswegen - ja, kann man mal lesen.
Wie Ihr wollt von Inger-Maria Mahlke. Erschienen im Berlin Verlag.
Mary Grey will ihre Schuhe nicht anziehen und ist auch sonst sehr ungehorsam.
"Werde immer kindischer. Schrumpfe, nicht äußerlich, nein, da ist es nicht schlimmer als sonst, mein Inneres, was immer das ist, schrumpft. Wird immer kleiner, bis es in ihre Erwartung passt."
Weiterlesen? Klingt trotz historischem Thema auf jeden Fall interessant. Kann man sich mal merken.
Das bessere Leben von Ulrich Peltzer. Erschienen im S. Fischer Verlag.
Draußen Lärm und Straßenkampf, drinnen ein Mann im Bett mit Bier.
"Es klickte (wie ein Bolzen, der auf eine leere Trommel trifft), das Rauschen der Klimaanlage verebbte nach und nach, bis wieder nichts als Stille da war, ein klebriges Gefühl auf der Haut, Atem und Herzschlag."
Weiterlesen? Nein. Hatte für mich keinen interessanten Aspekt.
89/90 von Peter Richter. Erschienen im Luchterhand Literaturverlag.
Eine Jugend in der DDR im Schwimmbad. Schon wieder ein Schwimmband.
"Als der Sommer kam, der die Welt verändern sollte, drapierte ich mein Bettzeug so, dass es aussah, als läge jemand darin, öffnete das Fenster und sprang in die Nacht. Das war keine große Sache; wir wohnten im Hochparterre. unter dem Fenster wuchs schon kein Gras mehr deswegen."
Weiterlesen? Der Text hat Fußnoten, Fußnoten gewinnen immer. Also, ja.
Eins im Andern von Monique Schwitter. Erschienen im Literaturverlag Droschl.
Die Lesung einer Autorin wird von den Gläubigern ihres Mannes gestört.
"Weil das Publikum dazu neigt, eine Icherzählerin für die Autorin zu halten, eine Neigung, die sich verstärkt, wenn die Autorin ihren Ichtext auch noch selbst vorliest."
Weiterlesen? Ja! Spielt da etwa jemand mit den Erwartungen des Lesers? Inklusive "Thomas Glavinic - Das bin doch ich"-Assoziation!
Die Stunde zwischen Frau und Gitarre von Clemens J. Setz. Erschienen im Suhrkamp Verlag.
Die wilde Verfolgungsjagd eines Heißluftballons mit einem Taxi endet nach wenigen Minuten.
"- Folgen Sie diesem Heißluftballon!
Der Taxifahrer drehte den Kopf und schaute in die Richtung, in die Natalies Arm wies."
Der Taxifahrer drehte den Kopf und schaute in die Richtung, in die Natalies Arm wies."
Weiterlesen? Hallo? Heißluftballonverfolgungsjagd? Natürlich möchte ich das lesen!
Bodentiefe Fenster von Anke Stelling. Erschienen im Verbrecher Verlag.
Die Erzählerin hat eine Freundin mit Kind, die der Vater gar nicht möchte.
"Ich muss die, die ich liebe, verlassen und darauf warten, dass sie sich zugrunde richten oder sich selbst helfen, dass sie freiwillig etwas ändern oder sterben."
Weiterlesen? Hmm. Hier müsste ich vielleicht noch etwas mehr lesen. Die Leseprobe selbst wirkt etwas langweilig.
Macht und Widerstand von Ilja Trojanow. Erschienen im S. Fischer Verlag.
Über Nachrichten in der Zeitung und Stammtischtreffen in einer Kneipe.
"Zwei Zeitungen pro Tag kann ich mir leisten. Beim Kauf einer dritten muss ich mich beim Abendessen einschränken."
Weiterlesen? Nein. Für mich uninteressant.
Lucia Binar und die russische Seele von Vladimir Vertlib. Erschienen im Deuticke Verlag.
Eine alte Frau wartet auf ihr Mittagessen und darauf, dass ihr jemand ihren Lieblingsgedichtband aus dem Regal herunterholt.
"Wenn ich jetzt sterbe, dann kann ich damit leben."
Weiterlesen? Hm. Nicht unbedingt. Wirkt auf mich sehr ähnlich wie "Baba Dunjas letzte Liebe", aber ohne den Humor.
Applaus für Bronikowski von Kai Weyand. Erschienen im Wallstein Verlag.
Die Empfehlung einer Bäckereifachverkäuferin führt den Protagonisten direkt zu einem Bestattungsunternehmen.
"Ich frage Sie doch, weil Sie eine Bäckereifachverkäuferin sind. Ein dreifach zusammengesetztes Hauptwort, das ist schon was, und das Entscheidende steht in der Mitte: Fach. Sie sind vom Fach, ich bin es nicht. Ich verlasse die Bäckerei erst, wenn Sie mir etwas empfohlen haben."
Weiterlesen? Aber ja! Sehr gerne sogar.
Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 von Frank Witzel. Erschienen im Verlag Matthes & Seitz Berlin.
Ich habe keine Ahnung, um was es geht. Meine Bleistiftnotiz sagt deswegen auch nur: "Hä?"
"Ich sitze mit meinem Malkasten und meinen Buntstiften auf dem Speicher und male ungelenk Fluchtpläne auf gewelltes Zeichenblockpapier."
Weiterlesen? Ich denke nicht, nein.
Der Fuchs und Dr. Shimamura von Christine Wunnicke. Erschienen im Berenberg Verlag.
Ein alter Arzt erinnert sich.
"Davor wollte er zu Bett gegangen sein, dachte Shimamura, doch erst knapp davor, denn man könne ja schlecht immer vorsorglich zu Bett gehen."
Weiterlesen? Nein. Die Leseprobe fand ich schon arg langweilig.
Siebentürmeviertel von Feridun Zaimoglu. Erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch.
Der Tod einer Krähe und ein Kampf.
"Das ist der Acker unserer ersten Schande. Schnabelklappern der Vögel, die auf Zypressenästen nisten. Asche am Himmel, es brennt die windschiefe Scheune auf der Brache."
Weiterlesen? Hm, ich denke nicht. Sprachlich ist es zwar recht schick, aber ich weiß nicht, ob das ausreicht.
Meine Favoriten sind damit (beschränkt auf die Anzahl der Shortlist-Plätze, also sechs Stück):
- Winters Garten von Valerie Fritsch
- Eigentlich müssten wir tanzen von Heinz Helle
- 89/90 von Peter Richter
- Eins im Andern von Monique Schwitter
- Die Stunde zwischen Frau und Gitarre von Clemens J. Setz
- Applaus für Bronikowski von Kai Weyand
Am 16. September wird eben jene Shortlist veröffentlicht, mal sehen, ob meine Favoriten sich in der Liste wiederfinden. Die offizielle Bekanntgabe des Preisträgers ist dann am 12. Oktober.