Montag, 30. März 2015

Alles ist jetzt von Julia Wolf.


Originalausgabe - Erschienen in der Frankfurter Verlagsanstalt - Februar 2015

Kaum betritt Ingrid das Haus, setzt auch das Heulen ein. Es zieht durch die Räume, kreist um Ingrids Kopf, schlägt mit Fäusten gegen Türen und Wände, was tust du mir an. Etwas in Ingrid wird klein, wie ein Kind, das auf seinem Bett sitzt und lauscht. Das nicht an Gespenster glaubt und sich trotzdem fürchtet. Sie hatte alles vergessen, jetzt ist es da. Nicht als Erinnerung, sondern als Jetzt.

Puh. Eins vorweg - "Alles ist jetzt" von Julia Wolf ist, trotz des geringen Umfangs, kein leichtes Buch, kein Buch, um es mal eben schnell in der U-Bahn zu lesen, denn hinter den (hier fehlt mir der korrekte, literaturwissenschaftliche Begriff, deswegen benenn ich das jetzt selber so) minimalistischen Sätzen liegt eine Kraft, die einem schon mal in einem ungünstigen Moment in die Magengegend hauen kann. Und das tut weh.

Ingrid also wohnt derzeit zusammen mit ihrem Bruder Gordan in der Stadt, sie verdient sich ihr Geld in einer Live-Sex-Bar hinter der Theke, den Job hat sie durch ihre Freundin (Freundin im freundschaftlichen Sinne oder Freundin im Liebesbeziehungssinn?) vermittelt bekommen. Es ist Weihnachten, Gordan und Ingrid besuchen die Mutter, die in einem Dorf wohnt und alkoholsüchtig ist. Ingrid will sie nicht besuchen. Ingrid verbinden zu viele negative Erinnerungen an ihre Mutter und, man ahnt es schon, der Besuch endet mit Alkohol und verdrängten Erinnerungen. Erinnerungen an einen Sommer zu dritt, Ingrid, Gordan und Moritz. Moritz, zu dem sie mit 18 geflüchtet ist. Moritz, der sie aufgenommen hat. 

Keiner soll sagen, er habe ihr nichts von der Stadt gezeigt. Moritz deutet in die eine Richtung, Dom, in die andere, Fernsehturm. Das Wichtigste hast du somit gesehen. 

Moritz, der sie fallen gelassen hat. Moritz kommt an Silvester zu Besuch. Es ist nach Weihnachten. Ingrid trifft sich mit ihrem Vater, um die Tradition zu wahren, man trifft sich immer nach Weihnachten in einem Café. Man spricht miteinander. Man spricht nicht miteinander. Man folgt der selbst gesetzten Erwartung an dieses Gespräch, man wartet auf die Fragen, auf seinen Einsatz.

Ingrid öffnet langsam den Mund. Nelken quellen hervor, ein Schwall gelber Blüten ergießt sich über den Tisch.

Eigentlich habe ich mir "Alles ist jetzt" eine Woche zu spät gekauft. Eigentlich hätte ich das Buch am Indiebookday kaufen sollen, weil die Frankfurter Verlagsanstalt ein kleiner Verlag ist und kleine Verlage sollen am Indiebookday unterstützt werden, aber an dem Tag musste ich Blumen für den Balkon kaufen. Also habe ich das Buch einfach eine Woche später gekauft. Geht ja auch. Und ich bin sehr froh drum. Auch, wenn ich erst überlegt habe, ob ich das Buch wirklich haben will, denn einen kleinen Kritikpunkt habe ich. Muss der Schutzumschlag wirklich glänzen? Glänzendes Papier sieht immer so billig aus. Und dabei ist der Rest der Ausstattung so schön. Gewelltes Papier Und ich mag den Gelbton. Aber nicht den Glanz. Und es tut mir auch leid, dass ich so ein oberflächlicher Mensch bin, der wegen solchen Kleinigkeiten vom Kauf zurückschreckt. Doch ich habe beide Augen fest zugedrückt und bin mit dem Buch zur Kasse gegangen (zusammen mit Sibylle Berg, die wohl gleich als nächstes gelesen wird). Eine gute Entscheidung.

Was das Buch für mich so schön, so traurig macht, ist die offensichtliche Nicht-Kommunikation, die Ingrid überall betreibt, die um Ingrid herum jeder betreibt und die ich selber außerordentlich gut betreibe. Wenn es dafür Extrapunkte gäbe, wäre ich die Königin. Und nein, das ist gar nicht so lustig, wie das jetzt klingt. Deswegen klingt "Alles ist jetzt" auch manchmal lustig, obwohl das gar nicht lustig ist. Denn es ist leise. Leise in den lustigen Tönen, leise in den traurigen Tönen und leise auf allen Seiten dazwischen. Leise und trotzdem oder gerade deswegen viel zu nah an mir dran. 

Und jetzt würde ich gerne noch irgendetwas lustiges zur Auflockerung schreiben, aber mir fällt nichts ein.

1 Kommentar:

Erina Schnabu hat gesagt…

Ich kenne das Buch zwar nicht, jedoch liest sich deine Rezension sehr schön und scheinbar auch sehr passend zum, wie du sagst, minimalistischen Stil der Autorin.

Liebe Grüße,

http://lesenundgrossetaten.blogspot.de/