"Hier bin ich" ist ein meisterhafter Roman über das Auseinanderbrechen einer Familie. In nur vier Wochen gerät die Welt von Julia und Jacob Bloch und ihren drei heranwachsenden Söhnen aus den Fugen. Nach seinen Bestsellern "Alles ist erleuchtet" und "Extrem laut und unglaublich nah" zeigt Janathan Safran Foer erneut seine Könnerschaft.
Wenn man über das neue Buch von Jonathan Safran Foer schreibt, gehört es zum guten Ton, zu erwähnen, dass dies das erste Buch des jungen Mannes seit elf Jahren ist. Elf Jahre musste man auf eine weitere Veröffentlichung des literarischen Wunderkindes warten, aus dem Jungspund wurde in der Zwischenzeit ein Mann (auch wenn er immer noch aussieht wie Mitte 20 und bei meiner Kritzelei ein wenig böse guckt), der auf 683 Seiten versucht zu beweisen, dass er das alles immer noch kann. Schreiben. Fesseln. Analysieren. Offenbaren.
Kann er es denn noch? Ja. Und nein.
"Hier bin ich" ist für mich kein typischer Foer, was eigentlich eine Behauptung ist, die ich so gar nicht aufstellen darf, denn bisher habe ich von ihm nur "Extrem laut und unglaublich nah" (Top!) und "Tiere essen" (Top!) gelesen. "Alles ist erleuchtet" steht immer noch ungelesen im Regal und das schon seit mehreren Jahren. Dafür ist meine Ausgabe von "Extrem laut und unglaublich nah" so zerlesen, dass komplette Seitenblöcke aus dem Buchblock herausfallen. Hauptsächlich deswegen, weil ich das Buch so oft (zweimal) verliehen habe. Nach diesem kleinen Exkurs kehren wir zurück zu meiner Behauptung, dass "Hier bin ich" kein typischer Foer ist. Denn Foer ist erwachsener geworden, beobachtet detaillierter das Drama im Kleinen wie im Großen unter dem Mikroskop. Das gelingt ihm meisterhaft, doch manchmal auch etwas langatmig. So wie das Leben eben ist.
In "Hier bin ich" befindet sich die Familie Bloch am Scheideweg ihres vor Langeweile dahinplätschernden Lebens. Die Eltern geben sich der Illusion einer harmonischen Beziehung hin, die nur noch durch den eingespielten Alltag mit den drei Söhnen zusammengehalten wird. Der erste Riss entsteht, weil Sam, der älteste Sohn, keine Bar Mizwa möchte. Der zweite Riss entsteht, weil Julia das zweite Handy von Jacob findet. Und der dritte Riss entsteht in Israel bei einem furchtbaren Erdbeben, welches die komplette Region in den Kriegszustand versetzt.
Nach der Lektüre hatte ich das Problem, dass ich das Buch zwar irgendwie gut fand, aber nicht mehr genau sagen konnte, um was es überhaupt ging. Substanziell ist bei mir nicht viel hängen geblieben, was vielleicht an meinem Kopf liegen mag, aber vielleicht will Jonathan Safran Foer auch zu viel. Es geht um die jüdische Identität, es geht um die Familie, es geht um Politik, es geht um Beziehungen, um Kindererziehung und den Tod und irgendwie findet Herr Foer zwar die richtigen Worte, aber man fühlt sich nach dem Lesen wie wenn man eine komplette Tafel Schokolade gegessen hat – glücklich, pappsatt, aber nach 10 Minuten muss man die Tüte Chips aus dem Schrank holen.
Gemeinerweise hatte ich nach der gestrigen Lesung von Jonathan Safran Foer im Literaturhaus München wieder mehr Lust, mich mit "Hier bin ich" zu beschäftigen, weswegen es ganz praktisch ist, dass ich zu dem Buch bisher noch nichts geschrieben habe. Denn Herr Foer schafft es durch seine sympathische, kluge Art und Weise, einen für sein Buch zu begeistern. Jedenfalls ging es mir so. Gelesen wurde auf Deutsch (sehr großartig hier: René Dumont) und Englisch, vom Frageteil hatte ich mir etwas mehr erwartet, weil es eigentlich gar nicht um das Buch ging, sondern hauptsächlich um Jonathan Safran Foers Meinung zur aktuellen Lage in den USA. Kluge Dinge hat er aber nichtsdestotrotz gesagt. Man kann gar nicht immer da sein.
Vielleicht war deswegen die Lesung auch so fix vorbei, weil Herr Foer nicht immer da sein kann.