Zu keiner Zeit haben so viele Menschen allein gelebt, und nie war elementarer zu spüren, wie brutal das selbstbestimmte Leben in Einsamkeit umschlagen kann. Aber kann man überhaupt glücklich sein allein? Und warum wird in einer Gesellschaft von Individualisten das Alleinleben als schambehaftetes Scheitern wahrgenommen?
Im Rückgriff auf eigene Erfahrungen, philosophische und soziologische Ideen ergründet Daniel Schreiber das Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach Rückzug und Freiheit und dem nach Nähe, Liebe und Gemeinschaft. Dabei leuchtet er aus, welche Rolle Freundschaften in diesem Lebensmodell spielen: Können sie eine Antwort auf den Sinnverlust in einer krisenhaften Welt sein? Ein zutiefst erhellendes Buch über die Frage, wie wir leben wollen.
Es gibt so Bücher, bei denen weiß man schon seit der ersten Ankündigung, dass das ein gutes Buch werden wird. Es vergeht Zeit bis zur Veröffentlichung, irgendwann liegt das Buch in der Post (besonders hübsch eingepackt vom Autor und dem Verlagsteam, Applaus dafür!) und man freut sich auf die Lektüre. Und gleichzeitig hat man Angst davor. Was, wenn die hohen Erwartungen doch nicht erfüllt werden können? Was, wenn es in eine ganz andere Richtung als gedacht geht?
Doch all diese Sorgen waren bei »Allein« von Daniel Schreiber unberechtigt. Ich nehme es direkt vorweg: Dieses Buch ist jetzt schon eines meiner Jahreshighlights 2021. Selten hatte ich ein so kluges, ein so intimes, ein so richtiges Buch in den Händen. Ist das nun die Stelle, an der ich mich beim Autor bedanken kann? Danke, Daniel.
In »Allein« erzählt Daniel Schreiber nicht einfach nur vom Alleinsein und der großen Bedeutung dahinter. Daniel Schreiber konzentriert sich auf die vergangenen zwei Jahre, in denen so viele von uns auf unterschiedliche Arten alleine waren. Corona und die damit verbundenen Einschränkungen des Soziallebens haben uns alle getroffen. Und wir alle waren und sind irgendwie alleine. Das betrifft Alleinstehende ebenso wie Paare und Familien. Wir alle haben weniger Zeit mit anderen Menschen verbracht. Wir alle mussten in den vergangenen zwei Jahren lernen, allein zu sein. Nicht nur allein, sondern auch einsam. Nur das zuzugeben, fällt schwer.
Bei Daniel Schreiber beginnt alles mit einem Garten. Denn er bietet einem befreundeten Paar an, sich um den Garten des neubezogenen Hauses zu kümmern. Schließlich hat Daniel Schreiber eine Leidenschaft für Pflanzen und Gärten. Und es ist eine Möglichkeit, mehr Zeit mit dem Paar zu verbringen, das Berlin für einen Umzug aufs Land verlassen haben. Daniel hat Angst, dass er sich ohne sie in Berlin alleine fühlt. Ganz ohne Partner. Nur auf sich gestellt.
Für mich ist »Allein« im schönsten Sinne ein kluges Tagebuch, das Daniel Schreiber für uns öffnet. Er erzählt von seinen Ängsten, von Reisen in die Schweiz und auf die Kanarischen Inseln, von der Liebe zum Wandern, von depressiven Phasen und der tiefen Dunkelheit. Er spricht von Freundschaften im gesellschaftlichen und kulturellen Kontext. Wie wichtig Freundschaften sind und warum sie einen ebenso hohen Stellenwert wie Beziehung haben. Und immer wieder kommt er auf andere Autor*innen zurück, die vom Alleinsein berichten. Joan Didion, Annie Ernaux, Eva Illouz, Deborah Levy, Olivia Laing, Maggie Nelson, Rebecca Solnit und so viele mehr. Einer der Gründe, warum ich die Lektüre häufig unterbrechen musste, um mal wieder meinen Bleistift zu suchen und ein weiteres Buch aus dem Literaturverzeichnis zu notieren. Denn ich liebe es sehr, wenn mich ein Buch zu vielen anderen interessanten Büchern führt.
»Zwischen all den Geschichten, die wir uns erzählen, um zu leben, und zwischen all den Versuchen, diese Geschichten abzulegen, wenn wir merken, dass sie unsere Sicht auf die Dinge verzerren und zu selbstgebauten Gefängnissen werden, gibt es Momente der Stille.« (Seite 140)
Lesen ist eine sehr einsame Tätigkeit. Mit »Allein« fühlt man sich dabei aber ganz und gar nicht allein. Und wenn doch, ist das auch vollkommen okay.