Originalausgabe - Erschienen bei Aufbau- 2016
Wenn jemand stirbt, zieht man sich schwarze Kleider an und geht zur Beerdigung. Oder man flieht gemeinsam mit seinen drei Beziehungspartnern und einer Schildkröte ans Meer. Nora entscheidet sich für Letzteres. Als ob Polyamorie helfen würde. Als ob Flucht helfen würde. Als ob man den Dämonen der Vergangenheit so einfach entkommt.
Ronja von Rönne – das ausgebuhte Wunderkind des Feuilletons. Man liebt sie oder man hasst sie (oder man findet sie so mittelmäßig. Oder man findet sie zwar nicht so toll, würde aber nicht den Raum verlassen, wenn sie irgendwo erscheint. Danke, liebes Känguru!). Letztes Jahr beim Ingeborg-Bachmann-Preis fand ich ihren Text ganz gut. Davor hab ich nur am Rande mitbekommen, dass sie im Zentrum eines Feminismus-Shitstorms steht. Das wars. Und dann kam ihr Buch und wir gingen zu einer Lesung im Rahmen der Leipziger Buchmesse. Und irgendwie fand ich da das Vorgetragene doch ganz gut. Doch ich blieb standhaft und kaufte mir das Buch nicht. Ich kaufte mir das Buch erst einige Tage später. Zum Indie-Book-Day. Total indie. It's a match!
"Unsere Beziehung ist eine einzige Imitation irgendwelcher Filme, und wenn wir uns streiten, dann halt noir ..." (S. 56)
Nora macht irgendwas mit Medien. Nora lebt in einer Viererbeziehung seitdem Karl irgendwann Leonie mit nach Hause gebracht hat. Und dann kam noch Jonas hinzu. Natürlich geht Nora auch um Therapeuten, aber erst zum zweiten Mal und der Therapeut geht jetzt erstmal in den Urlaub, deswegen muss Nora alles aufschreiben. Zum Beispiel, dass sie einen Brief erhält. Mit einer Einladung zur Beerdigung von Maja. Maja, die Jugendfreundin. Aber die kann nicht tot sein. Und so zieht sich Noras Weigerung, den Tod von Maja anzuerkennen durch "Wir kommen". Nebenbei fahren wir alle zusammen ans Meer, denn am Meer gibt es ein Ferienhaus und wenn man im Ferienhaus ist, ist alles gut. Auch, wenn die Viererbeziehung immer mehr ins Wanken gerät. Dann hilft eine Party und viel Alkohol. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht ist die Schildkröte auch schon seit Tagen tot und niemand sagt etwas.
"Jonas und ich stritten uns ein bisschen, was mich freute, weil streiten ein Verb ist, und bei Verben passiert etwas, ohne Verben bleiben nur Adjektive, schnöde, langweilige, redundante Adjektive, und so stritten wir uns, und das war lange fällig." (S. 140)
Bei all den Stellen, die Ronja von Rönne bei der Lesung vorgelesen hat, hatte ich sofort wieder ihre Stimme im Kopf. Eigentlich möchte ich, dass sie mir das Buch komplett vorliest und mir dabei über den Kopf streichelt und mir verspricht, dass alles wieder gut wird. Natürlich wird nichts wieder gut, aber man kann das ja mal sagen. Ich bin ein wenig verliebt in Ronjas lange Sätze, insbesondere in die Sätze, die immer den gleichen Aufbau haben, immer von dem sprechen, was man wusste und dabei alle Formulierungen mit "wissen" mitnehmen, die es so gibt (S. 42). Ich mag ihre Überlegungen zum Thema Pferde stehlen, denn ganz ehrlich, warum sollte man Pferde stehlen, wenn man gar nicht reiten kann und sich auch sonst nicht viel mit Tierhaltung auskennt (S. 60f). Wenn Ronja sowas schreibt, bin ich komplett hingerissen. Was man auch daran sieht, wie viele Textstellen ich markiert habe (12 Eselsohren bei 205 Seiten).
Doch etwas ist auffällig. Es gibt zwei längere Abschnitte, in denen ich komplett nichts markiert habe, die mir komplett belanglos und fehl am Platz vorkamen. Grob zusammengefasst sind das die Abschnitte der Party und die der Vergangenheit. Maja passt nicht. Maja ist ein Störfaktor. Ich hätte gerne einfach nur das Ferienhaus gehabt, natürlich das Meer, ich brauche Meer.
Sarah Kuttners "180 Grad Meer" und Ronja von Rönnes "Wir kommen" ähneln sich vielleicht auch teilweise, es geht immer um tieftraurig-depressive Mädchen aus Berlin (es muss nicht Berlin sein, es geht eher um die Generation Berlin, die Generation Y). Wahrscheinlich würde ich bei einem dritten Buch dieser Art dann doch langsam mal anfangen zu gähnen. Muss man aber bei Ronja von Rönne bisher noch nicht. Sie darf gerne weiterschreiben. Gerne kurze Texte. Gerne ohne wirkliche Handlung. Vielleicht ist es nämlich genau das, was mich bei den zwei nichtmarkierten Abschnitten so stört. Plötzlich gibt es Handlung. Handlung stört. Handlung hab ich schon genug in meinem eigenen Leben.
"Unsere Traurigkeit ist nicht 'noir' oder intellektuell, sondern nur traurig." (S. 183)
5 Kommentare:
Liebe Marina,
deine Zeilen lesen sich ganz und gar bezaubernd. Ich bin schon sehr gespannt, wie mir der Roman begegnet. Zwischendurch gab es nämlich durchaus Rezensionen, die mich etwas skeptisch auf den Roman schauen ließen. Aber irgendwie scheint mein Kauf doch genau die richtige Entscheidung gewesen zu sein.
Liebe Grüße,
Steffi
Hallöchen :)
Ich habe das Buch bisher schon so oft überall gesehen, aber ich habe bisher noch nichts darüber gelesen. Ich glaube irgendwie nicht, dass es etwas für mich sein könnte. Ich wollte 180° Meer eigentlich noch lesen, aber wenn du sagst, dass die Bücher vergleichbar sind.. ich weiß nicht. Mal sehen. Ich bin auf jeden Fall gespannt in 180° Meer werde ich definitiv reinlesen. Dieses hier, nun, wir werden eher nicht zueinander finden, denke ich.
Liebst, Lotta
Oh, dann bin ich aber gespannt auf deine Meinung! Vor meinem Kauf war ich auch etwas skeptisch, weil viele das Buch schon vorverurteilt haben und ich nicht wusste, ob das nicht zurecht passiert.
Obwohl ich beide Bücher sehr mag, würde ich doch sagen, dass "180 Grad Meer" mir besser gefällt, weil es runder ist und auch mit einer Story aufwarten kann. Und Kuttner ist nicht ganz so traurig. ;)
Liebe Marina,
wie sehr würdest du dich für ein typisches Kind der Generation Y halten?
Genau diese Frage habe ich mir die ganze Zeit sowohl bei Sarah Kuttners 180 Grad Meer als auch bei Wir kommen von Ronja von Rönne gestellt. ;-)
Viele Grüße,
Janine
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