Freitag, 25. September 2020

Das Glücksdiktat von Edgar Cabanas & Eva Ilouz

Das Glücksdiktat

Originaltitel: Manufacturing happy citizens/Happycratie - Aus dem Englischen/Französischen von Michael Adrian - Erschienen im Suhrkamp Verlag - Oktober 2019

Immer noch nicht glücklich? Trotz Yoga-Retreat, Resilienz und Achtsamkeit? 
Glück lässt sich lernen. Das will uns die boomende Glücksindustrie weismachen – mit ihren Seminaren, Ratgebern und Happiness-Indizes. Wenn wir uns nur ausreichend bemühen, kommt auch die Zufriedenheit. Aber was bedeutet es, wenn wir mit dieser Aufgabe alleingelassen werden? Wenn Unternehmen, Regierungen und öffentliche Institutionen sich aus der Verantwortung ziehen können? Wer sind die eigentlichen Nutznießer und wer die Verlierer der "Diktatur des Glücks"?

Und? Auf einer Skala von 1 bis 5, wie glücklich fühlt ihr euch gerade? Bevor ihr antwortet, sollten wir vielleicht ein paar Dinge klären. Was genau meine ich mit "glücklich"? Wie kann man Glück messen? Inwieweit ist die Skala und deren Einheiten definiert? Und lässt sich Glück überhaupt vergleichen? 

In "Das Glücksdiktat" stellen Edgar Cabanas und Eva Illouz die aktuelle Fokussierung aufs Glücklichsein in Frage. Dabei kritisieren sie insbesondere die Positive Psychologie, die in den vergangenen Jahren immer mehr Einfluss in Wirtschaft und Politik gewonnen hat, um das Thema für die breite Masse aufzubereiten. Hier ein Achtsamkeitstraining, da eine Werbung für Coaching und jede Menge Bücher mit Titeln wie "Glücklich werden in 100 Tagen" (das habe ich mir zwar nur ausgedacht, aber wer weiß, vielleicht wartet schon ein Manuskript mit diesem Titel in irgendeiner Schublade). 

Aber was ist eigentlich so schlimm am Glück? Wäre es nicht famos, wenn wir alle ein glückliches Leben führen könnten?

"Man sollte Glück also nicht mit einer harmlosen, gutgemeinten abstrakten Bezeichnung für Wohlbefinden und Zufriedenheit verwechseln." (Seite 67)

Glück wird dann zum Problem, wenn es instrumentalisiert wird. Wenn Glück plötzlich zur Währung wird, zum Vergleichspunkt, zum alleinigen Heilsbringer. So kritisieren Cabanas und Illouz beispielsweise, wie die Wirtschaft auf glückliche Arbeitskräfte setzt, um die Produktivität zu erhöhen. Ähnliches gilt für Überlegungen "Glück" als Unterrichtsfach an Schulen zu etablieren:

"Auch Seligman und Kollegen sind der Ansicht, dass Glück in Bildungseinrichtungen ebenso 'zum Schutz gegen Depressionen' unterrichtet werden müsse wie als 'Mittel zur Steigerung der Lebenszufriedenheit und Unterstützung zum besseren Lernen und kreativeren Denken'." (Seite 91)

Schöne neue Welt. Glückliche Schüler*innen werden zu glücklichen Arbeitnehmer*innen, die glücklich ihre Arbeit verrichten, produktiv und unkritisch sind und nach noch mehr Glück streben. Geht das überhaupt? Ist Glück steigerbar? Und zu welchem Preis? Und was passiert, wenn wir unser Glück mit dem Glück anderer Menschen vergleichen, wie es in den Sozialen Medien tagtäglich passiert? Wird unser eigenes Glück plötzlich weniger wert, weil es weniger Likes erzielt hat?

Besonders perfide wird die Glücksindustrie, wenn man sie und ihre Angebote auf einen Satz herunterbricht: Wenn du nur wirklich glücklich sein willst, dann schaffst du das auch.

Im Umkehrschluss: Wenn du immer noch nicht glücklich bist, dann wolltest du es auch nicht wirklich! Ein ganz wunderbarer Satz, den man unbedingt mal zu Menschen mit Depressionen oder anderen psychischen Krankheiten sagen sollte. 

"Der Kult ums Glück ist bestenfalls eine betäubende Ablenkung, kein Gegenmittel für unsere Schutzlosigkeit, Machtlosigkeit und Angst." (Seite 206)

Und trotzdem: Nichts spricht gegen Glück. Der Kontext ist entscheidend. Meditation, ein achtsame Morgenroutine oder ein Glückstagebuch – all das kann glücklich machen. Die Frage sollte nur sein, warum man zu diesen Maßnahmen greift. Das heißt, man sollte ehrlich mit sich selbst sein  und die eigenen Beweggründe zu hinterfragen. Denn wenn es bei der Glücksfindung und damit verbundenen Selbstoptimierung nur darum geht, eine ich-bezogene Einstellung zu pflegen, nach dem Motto "Höher, schneller, weiter!", wird das Glück nur eine kurze Lebensdauer haben. Da hilft auch das zehnte Coaching zur Visualisierung der eigenen Wünsche nicht weiter. 

Und so ist "Das Glücksdiktat" eine lesenswerte Abrechnung über den Zwang zum Glück und den Mechanismen, die dahinter stecken.

2 Kommentare:

Kathrin Rania hat gesagt…

Hallo!
Ich beschäftige mich ja selbst auch sehr viel mit Achtsamkeit und Persönlichkeitsentwicklung. Ich denke, dass es schon die Gefahr wird, wenn Glück darin besteht, sich immer mehr selbst zu optimieren und daraus ein Druck, eine Sucht wird. Die Gefahr ist schon da, immer noch mehr und mehr zu machen und das Überangebot an Coachings dazu ist ja auch da:/
Entscheidend ist denke ich, die Verbundenheit. Nach innen, mit den eigenen Bedürfnissen, mit den eigenen Grenzen und Werten.
Ich tendiere auch eher dazu, zuviel zu machen. Da ist es dann gut, auch mal wieder Abstand zu haben und eine Pause einzulegen. Aber generell habe ich schon sehr viel lernen können aus dem Bereich der Positiven Psychologie.
Achtsamkeit als Schulfach fände ich sinnvoll, denn ich glaube, dass es doch helfen könnte, manche Emotionen anders zu regulieren. Aber sobald eben darin eine Leistung, eine Art Wachstum erfolgen soll, ist natürlich das Thema, nämlich das wertfreie im Hier und Jetzt sein verfehlt.
Liebe Grüße, Kathrin

Marina hat gesagt…

Hallo Kathrin,

ich glaub, mein Problem mit "Glück als Schulfach" ist auch, dass in der Schule eigentlich jedes Fach mit Leistung und Konkurrenz verbunden ist. Gibt es dann Schulnoten fürs Glücklichsein? Das stell ich mir etwas schwierig vor. Glück zu "erlernen" bzw. auf sich selbst zu achten (das finde ich als Formulierung irgendwie besser) ist auf jeden Fall wichtig, aber der Rahmen fehlt irgendwie.

Beste Grüße
Marina